Schlange stehen für ein Autogramm von Anton Corbijn
Signierte Bildbände: Fankultur oder Gimmick für Kunstfreunde?
Eine Schlange hat sich vor dem C/O Berlin gebildet. Es ist nass und kalt und ich stehe mitten drin. Keiner der Menschen vor oder hinter mir will in die laufenden Retrospektive von Anton Corbijn. Sie sind wegen dem Fotografen persönlich hier.
Noch 40 Minuten bis17 Uhr: Dann erscheint Anton Corbijn und signiert die gekauften Bildbände. Immerhin habe ich mir einen Platz im vorderen Drittel der Schlange sichern können.
Ich habe Zeit zum Nachdenken.
Plötzlich kommen mir Zweifel.
Warum möchte ich eine Signatur auf dem gerade gekauften Bildband „Hollands Deep*“ haben? Logisch, weil Corbijn der Fotograf ist, der die Bilder gemacht hat. Seine Fotos sind wirklich genial. Ja, es geht doch um die Fotos! Eine Unterschrift verändert die Bilder nicht.
Bin ich also dem Fankult verfallen?
Warum Unterschriften sammeln?
Was sollen Unterschriften auf Fotobänden? Warum wollen Menschen überhaupt signierte Exemplare haben?
Macht das die Fotos etwa besser? Ich habe noch 38 Minuten, bis ich vor Corbijn stehe und um ein Autogramm bitten werde. Genug Zeit, um über das Thema nachzudenken.
Die Bildbände werden dann wertvoller
Das ist kompletter Quatsch!
Massendrucke werden nicht wertvoll. Auch dann nicht, wenn man sie signiert!
Auf einem Vortrag über Fotobücher, den ich neulich besucht habe, hat sich der Referent genau über diesen „Irrglauben“ lustig gemacht. Bei limitierten Editionen, wie bei abgezählten Araki Bildbänden oder abgefahrenen Kunstdrucken, wie dem „Sumo Buch“ von Helmuth Newton, macht eine Unterschrift schon was aus.
Da wird der Preis für die erste Ausgabe von 10.000 DM im Einkauf schon mal auf 620 000 DM in einer Versteigerung hochkatapultiert. Das ist im Jahr 2000 jedenfalls mit dem Newton Bildband passiert. Aber nicht vergessen, das ist der Kunstmarkt, was steigt und fällt gehorcht eigenen Regeln.
Bei Nachdrucken wie z.B. dem erwähnten Helmut Newton. SUMO* Bildband, der aktuell im Taschenverlag erschienen ist, wird es so eine Preissteigerung niemals geben.
Ach ja, Newton ist schon länger tot, deswegen stellt sich die Unterschriften-Frage in seinem Fall nicht.
Sammeltrieb als Motivation?
Noch 30 Minuten:
Mir ist klar, dass sich die Unterschrift bei einem Bildband nicht wirtschaftlich auswirkt.
Warum stehe ich dann hier in der Kälte und warte?
Das Fotobuch ist doch kein Scheck, auf dem eine Unterschrift wichtig ist.
Persönliche Motive? Also doch Fankult!
Ich bin also ein Autogrammjäger geworden. Die Quelle davon könnte meine Sammelwut sein. Wieder ein Stück für meine Bildbandsammlung.
Das Ganze hat mit einem Bildband von Paul Ripke angefangen: „Zwei Minuten Zufall“, der signiert wurde. Dann ging es mit dem Bildband „Geschichten einer Wand“ von Corvin Kuhwede weiter. 200 Exemplare konnten durch eine Crowdfunding-Kampagne gedruckt werden. Alle Bücher waren handsigniert und nummeriert. Mein Buch hatte die Nr. 97.
Seitdem haben signierte Exemplare für mich einen gewissen Reiz.
Ist es also nur Affektionsinteresse?
Aber hey, ich unterstütze das C/O!
23 Minuten verbleiben, die Schlange wird länger und länger. Viele haben die lustigen C/O Berlin Papiertüten. Da fällt mir ein Grund ein, warum das ganze doch Sinn macht: Ich unterstütze das C/O Berlin! Wie jeder, der mit seiner Tüte in der Schlange steht und ein Buch gekauft hat.
Das ich ein großer C/O Fan bin, der eine Jahreskarte besitzt, ist kein Geheimnis. Ich bin oft im C/O. Mein Buchkauf trägt also indirekt zum Erhalt der Kultureinrichtung bei.
Wenn ich das so betrachte hätte ich mir vielleicht doch noch den zweiten Bildband Anton Corbijn 1-2-3-4* kaufen sollen. Die Menschen vor und hinter mir halten beide Bildbände in den Händen.
Oder packt mich gerade nur die Gier?
Egal, dafür ist es jetzt zu spät. Den Platz in der Schlange verlasse ich nicht.
Wenige Minuten bis zur Unterschrift und dem Foto
Noch 15 Minuten
Bald ist es soweit: Den Bildband habe ich ja schon gekauft und jetzt ist es auch schon fast 17 Uhr, da kann ich auch stehen bleiben.
Warum denke ich denn überhaupt über den Grund nach, in der Schlange zu stehen?
Hey, ich bin kein Vulkanier!
Ich muss nicht logisch handeln.
Außerdem machen das alle, z.B. die Moderatorin Visa Vie.
Jawohl, die macht das auch!
Ok, nicht mit Corbijn-Bildbänden, aber mit Büchern von John Niven (Autor von Kill Your Friends*). Jedenfalls hat sie das in einem Interview mit dem Entertainer Oli Schulz erzählt.
Sie stand zitternd vor dem Autor und das war einer der größten Momente ihres Lebens.
Gut, soweit ist es mit mir noch nicht. Wenn Visa Vie, die große Hoffnung des „Interview -und Talkformates“, auch „Autogrammjägerin“ ist, dann wird das wohl erlaubt sein.
1 Minute bis zum Einlass
Die Schlange bewegt sich.Corbijn wartet im Cafe und die Menge wird tröpfchenweise eingelassen.
Dann geht alles ganz schnell: Innerhalb von 10 Minuten stehe ich vor Corbijn, mache mein Foto, erhalte meine Signatur, nuschle in schlechtem Englisch „Thank you very much.“ und das war´s. Corbijn antwortet mit der routinierten Freundlichkeit eines Hollywood Stars „It is a pleasure.“ und ich bin draußen.
Mein Fanherz schlägt höher und ich besitze ein weiteres Prunkstück für meine Fotobuchsammlung.
Warum muss man nach einem Grund fragen, wenn etwas Freude bereitet?
Manchmal sollte man auch einfach nur Fan sein dürfen.
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NOV
2015